Vom Forscher, der auszog, das Zaubern zu lernen – Meine Erlebnisse bei den Erben der Maya by Christian Rätsch
Autor:Christian Rätsch [Rätsch, Christian]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: NONBOOK/Sachbücher/Spiritualität
Herausgeber: Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
veröffentlicht: 2015-10-30T16:00:00+00:00
15. November 1982
Anfang November, wenn die süßen Früchte des Sak’onte’, des „Weißen Avocado-Baumes“, reif sind, ist die Zeit der Papageienjagd. Die Papageien lieben diese Früchte sehr und bevölkern dann in ganzen Schwärmen die Baumkronen, um sich an ihnen zu laben.
Ein Mayaschamane kostet von einer psychoaktiven Pflanze, auf seinem Kopf sitzt sein Tiergeist, der Papagei.
Papageien werden von den Lakandonen wegen ihrer schönen bunten Federn und wegen ihres wohlschmeckenden Fleisches gejagt. Die Federn brauchen sie als Befiederung für die Pfeile. Das Fleisch ist sehr fest, aber nicht zäh, fast von leberartiger Konsistenz und dunkelbraun. Ohne weitere Zugaben schmeckt es abgerundet und würzig.
Beim allerersten Morgengrauen hat mich K’in Paniagua abgeholt, um mit mir gemeinsam auf Papageienjagd zu gehen. Da die Regenzeit noch lange nicht vorbei ist, waren die Wege voller Matsch und sehr glitschig. Unsere Tunikas waren schnell durchnässt von den feuchten, ja nassen Sträuchern. Zuerst nahmen wir den gleichen Weg, der zu den Pinienhügeln führt. Als wir in dem Gebiet der Sak’onte’-Bäume ankamen, ortete K’in sogleich mit seinem Gehör die Bäume, in deren Wipfeln die Papageien saßen. Dann verschwand er blitzschnell im Gebüsch. Ich folgte ihm. Im Gehen lud er sein kleinkalibriges Gewehr und blickte bei jedem Schritt zu dem Blätterdach über uns. Plötzlich legte er an – ein Schuss! – ein ganzer Papageienschwarm erhob sich krächzend. Nur einer fiel getroffen zu Boden. Ich lief gleich zu der Stelle und hob ihn auf. K’in hat ihn mir dann geschenkt. Ich war beeindruckt von seiner Treffsicherheit. Die Baumkronen des Sak’onte’ sind immerhin 30 bis 40 Meter hoch. Und im Morgengrauen konnte ich keinen einzigen Vogel zwischen den Blättern erkennen.
Die Papageienjagd ist eigentlich recht einfach. Wenn ein Schuss fällt, erhebt sich der Schwarm für eine kurze Zeit, lässt sich schon einen Moment später auf einer anderen Baumkrone nieder, kehrt dann aber schnell zu dem vorherigen Baum mit den köstlichen Früchten zurück. Der Jäger braucht so nur kurz zu warten, denn die Beute kommt ihm entgegengeflogen. Ein treffsicherer Jäger – die meisten Lakandonen sind erstaunlich und überdurchschnittlich treffsicher – kann so an einem Vormittag bis zu dreißig Papageien erlegen. Der Tagesdurchschnitt liegt aber bei zehn bis fünfzehn Vögeln. Die Lakandonen jagen oft in Gruppen. Sie scherzen viel, und niemand hat den Ehrgeiz der Bessere zu sein.
Als wir an einem Baumstamm mit riesigen Tafelwurzeln kauerten, um uns vor dem Regen zu schützen, setzte sich ein Papagei direkt über uns auf einen Ast. Er bot ein ruhiges, unbewegtes Ziel. Ich schoss zuerst – leider daneben, aber der Papagei rührte sich nicht vom Flecken. Nun schoss K’in – auch daneben. Erst dann hob der Papagei zum Flug an. Es gab viel Gelächter darüber, dass der Vogel so lange still dasaß und ihn dennoch niemand erschossen hat.
Tukane jagt man anders. Sie treten nicht in Schwärmen auf. Meisten trifft man sie als Pärchen an, aber auch alleine. K’in hat mir gezeigt, wie man den Lockruf des Tukan imitiert. Er nahm dazu das Blättchen einer winzigen Palme, legte es zwischen beide Daumen und Handballen und führte es so zum Mund. Er blies darauf wie auf einem Flageolett.
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